BIOGRAPHISCHE UND PERSÖNLICHE TEXTE

Benno Glauser – Arbeit im Norden des Gran Chaco im Rahmen von Iniciativa Amotocodie – (2002 bis 2012)

Mein Engagement gilt seit über 20 Jahren der Präsenz von Indianergruppen des Ayoreovolkes im Norden des Gran Chaco, die noch keinen Kontakt mit unserer westlichen, modernen Zivilisation hatten, und die jeglicher Kontaktmöglichkeit auch aus dem Weg gehen [1]. Ausgehend von einer persönlich erlebten, wachsenden Faszination für die Andersartigkeit der Welt dieser Gruppen, die mit unserer immer stärker globalisierten Einheitswelt und –Wirklichkeit auf seltsame und herausfordernde Weise koexistieren, ist daraus im Jahre 2002 mit dem Namen „Iniciativa Amotocodie“ ein Projekt entstanden, dessen Leitung ich bis 2010 innehielt.

Im Laufe der letzten zwölf Jahre hat das kleine Team von Iniciativa Amotocodie (IA) in unermüdlicher, aufreibender Basisarbeit, für die ohne Kontakt lebenden Gruppen eine Art externes Überwachungs- und Begleitsystem aufgebaut, welches ihnen und auch den bedrohten Wäldern, in denen sie leben und die ihre Territorien sind, einen gewissen Schutz bietet. Es ist eine Arbeit aus der Distanz, mit „Unsichtbaren“, mit Menschen, die in unserer Alltagswirklichkeit nicht sichtbar sind, eine Beobachtungsaufgabe, die sich auf die ständige, sorgfältige Registrierung gelegentlich sichtbarer Spuren, die ihr nomadisches Leben hinterlässt, beschränkt, ohne in ihr Leben in irgendwelcher Weise einzugreifen.

Die gesammelten Daten erlauben es, potenzielle Risikosituationen und Gefahren für die Menschen im Wald vorauszusehen und ermöglichen es IA, präventive Schutzmassnahmen zu fordern und in die Wege zu leiten. Ausserdem haben die gesammelten Daten eine Übersicht der betreffenden Territorien ermöglicht; nach internationalem Recht müssten diese nun zugunsten der ohne Kontakt lebenden Gruppen demarkiert und auf sie überschrieben werden. Was jedoch nicht geschieht.

Die ausgedehnten Wälder der jeweiligen Territorien dieser Gruppen sind heute nicht mehr einfach ihr Lebensraum, sondern werden angesichts der rasant fortschreitenden Zerstörung der Natur mehr und mehr zu Rest- und Rückzugsgebieten, in denen diese äusserst sensible und extrem schutzbedürftige Art menschlichen Lebens – heute im Verborgenen – sich weiterhin behauptet und zu überleben sucht. Diese Arbeit hat mich und uns nach und nach gelehrt, dass zwischen dem Urwald und den ohne Kontakt lebenden Ayoreo- Gruppen eine Beziehung des gegenseitigen Sich- Schützens besteht: Die „Aislados“ im Norden des Chaco leben vom Wald, von seinem Reichtum und seiner Diversität, schützen ihn aber gleichzeitig, indem sie das Gleichgewicht wahren und von diesem Reichtum nur in Anspruch nehmen, was sie zum Leben wirklich brauchen. Der Wald seinerseits bietet für ihr stark bedrohtes Leben Alles, was dafür nötig ist. Die gegenseitige Schutzbeziehung wird heute wegen der für beide Seiten bestehenden akuten Bedrohung immer wichtiger, ähnlich unserer eigenen Beziehung als nicht- indianische, „moderne“ Menschen zu unserer Umwelt und Welt, die für uns immer entscheidender wird.

Die hier beschriebene Aufgabe Arbeit fokussierte auch die Situation und die Zukunftsperspektiven jener Ayoreo, die bereits vor Jahrzehnten von Missionaren im Namen unseres Lebensmodells kontaktiert und aus dem Wald deportiert wurden. Das Trauma des ungewollten Kontaktes zu unserer Zivilisation, des Zusammenbruchs der traditionellen Lebenswelt und des plötzlichen Verlustes der Territorien – sie sind heute Privatbesitz zahlreicher Farmer und Spekulanten, und zunehmend auch aggressiver internationaler Agro- Unternehmen – hat das Selbstbewusstsein und die Möglichkeit selbstbestimmten Lebens des Ayoreovolkes stark geschwächt. Hier zielt die langjährige, kontinuierlichen Begleitarbeit, auf eine langsame, erneute Erstarkung und recht eigentlich auf eine „wieder zu sich Kommen“ des Ayoreovolkes als Ganzem ab.

Ein weiterer Aspekt ist die Bewusstseinsarbeit: Über den Chaco hinaus in ganz Paraguay, aber auch weltweit zum wachsenden Bewusstsein über die Existenz und die Schutzbedürftigkeit der ohne Kontakt lebenden Gruppen und Völker, aber auch zum Bewusstsein ihrer Bedeutung für die Menschheit und unseren Planeten beizutragen.

[1]  Solche Indianergruppen – zumeist sind es ganze Völker – werden heute oft auch „aislados“ genannt – „isoliert lebende“ Indianervölker. Allein in Lateinamerika wird die Zahl dieser Völker auf zwischen 80 und 120 geschätzt. Im Norden des Gran Chaco (Paraguay und Bolivien) behaupten sich weiterhin um die zehn der Ayoreo- Ethnie angehörende Gruppen, mit insgesamt bis zu 300 Angehörigen (Wissensstand Sept. 2014).


Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .