ANNÄHERUNG / IN KONTAKT TRETEN

Hingehen und dort sein

Ich spreche ihre Sprache nicht. Verbale Kommunikation kann nur über die paar Brocken laufen, die der eine oder andere Ayoreo der jungen Generation  zu übermitteln versteht.  So ist mein bei- ihnen- sein nicht eine gespächiges, sondern eine ruhiges, aufnehmendes. Ich verbringe Stunden unter den Bäumen mit ein paar Männern, auch die Frauen sitzen dabei, auf ihren Tüchern, die sie auf der Erde ausgebreitet haben, sie arbeiten  an ihren Taschen aus Caraguatá- Fasern. Da ist viel Leben…wir sind umringt von spielenden Kindern, es gibt Hühner, und Hunde….und viel Geschrei, rege Gespräch da und dort, zu zweien, zu mehreren, gleichzeitig, plötzlich dann wieder alle zusammen, vereint im selben Gesprächsfluss…Ich bin ein Fremdkörper, der sich mit den ihm zugänglichen Mitteln langsam in diese Athmosphäre hineinsinken und – ziehen lässt.

In den ersten Stunden “leide” ich meist an meiner sprachlichen Unzulänglichkeit, aber auch an der scheinbaren Nutzlosigkeit meines Besuches. Besucher bringen immer Etwas mit: Etwas Materielles, oder ein Vorhaben – ein Projekt, aus dem die Ayoreo Nutzen ziehen können, eine gute Absicht, die wenigstens auf längere Sicht etwas zu versprechen scheint, Aussicht auf Zugang zu Land, Lebensmitteln, Medikamenten, Transportmöglichkeiten, Jagdzügen, Gelegenheitsarbeit, Unterstützung in Notsituationen, Einfluss, politischen Schutz….Ich aber stehe  – abgesehen von etwas Reis oder Yerba, mein Beitrag an das Essen – mit ziemlich leeren Händen da und leeren Taschen da, viel ist mit mir nicht anzufangen, fühle ich, und das ist keine leichte Situation für einen Vertreter unserer begüterten Lebenskultur, ausgestattet mit mannifachen Mitteln, das Umgehen mit dieser “Nutzlosigkeit”, und gleichzeitig merke ich, dass mein Unwohlsein vor Allem oder gar ausschliesslich nur das Meine ist. Etwas, was mich unwohl sein lässt, nicht aber die Menschen, die ich besuche, wie es scheint…

Während die Zeit vertstreicht, pflegen diese Gefühle dann langsam in den Hintergrund zu treten und an ihre Stelle tritt eine innere Ruhe, auch genährt an der Zufriedenheit und Freude, die sich trotz – und vielleicht auch wegen –  meiner Anwesenheit breitzumachen beginnt….Ich beginne mich langsam wohler zu fühlen…

Kurze Gespräche mit bruchstückhaften Übersetzungen kommen auf, manchmal gilt es, ein Missverständnis zu klären, welches durch die fehlende direkte Kommunikation entstanden ist; manchmal ist eine für ihre Lebenskultur ungewöhnliche Reaktion von mir der Anlass.

Die Unmöglichkeit eines über solche Gesprächsfragmente hinausgehenden sprachlichen Austausches hat für mich eine Folge, die sich nun langsam bemerkbar zu machen beginnt: Sie führt zu einer zunehmenden Aktivierung von Dimensionen eines nicht über Sprache und Wörter laufenden “Redens”, macht sie meiner Wahrnehmung zugänglich. Meine Sinne öffnen sich, und ich beginne, Stimmungen und Stimmungsumschwünge aufzunehmen, beobachte die Reaktionen der Menschen auf das äussere Geschehen – etwa das Spiel der Kinder oder die Zänkereien der Hunde, das Wetter, vorbeiziehende Vögel – sie sind in der Ayoreowelt oftmals Träger von Nachrichten, von Ratschlägen oder Warnungen.

Ich fange an, den praktischen Handreichungen des “häuslichen” Alltags, der sich meist ebenerdig in unmittelbarer Nähe der Hütten abspielt, “zuzuhören…”.

Ich überlasse mich dem freien Spiel der Wahrnehmung. Meine Sinne beginnen wie nomadische Jäger und Sammlerinnen umherzustreifen und Nützliches, Bedeutungsvolles, Vorteilhaftes, Gefährliches aufzunehmen …

Mit der Zeit merke ich, dass ich damit der ihnen eigenen Art, in der Welt zu sein und Dinge wahrzunehmen, nun selbst nähergekommen bin…


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